Meilensteine der Telemedizin, 1840–1990

Andrea Balla und Johanna Ranftl

Die Form, wie Menschen miteinander kommunizieren, hat sich insbesondere in den letzten 150 Jahren technologisch wesentlich weiterentwickelt. Heute ist es möglich in wenigen Sekunden eine Verbindung zu Menschen auf der ganzen Welt herzustellen. Auch das Gesundheitswesen nutzt neue Technologien, um die Gesundheit von Patient_innen zu verbessern. In diesem Zusammenhang wird der Begriff Telemedizin in Verwendung gebracht.

Die Telemedizin als Kommunikationsinstrument innerhalb der medizinischen Arbeitspraxis wird, ausgehend von der Möglichkeit der elektrischen Informationsübertragung (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 11), in ihren Ursprüngen auf das 19. Jahrhundert datiert. Die Telemedizin ist damit auch zwangsläufig eine Geschichte der Kommunikationsmedien. Ausgehend von dieser Perspektive sollen im Folgenden einige der Meilensteine der Telemedizin anhand der Entwicklungstendenzen von Kommunikationstechnologien aufgezeigt werden. 

Ausgangsbasis der folgenden Meilensteine sind dabei Kommunikationsmedien vom Telegrafen, über das Telefon, das Radio (Funk) und das Fernsehen bis hin zu Computer und Internet. Dabei werden wichtige technologische Entwicklungsschritte und telemedizinische Einsatzfälle bis etwa zum Jahr 2000 nebeneinander gestellt. 

Anfänge der Telemedizin: Telegraph, Telefon- und Funkverbindungen als wichtigste verfügbare Kommunikationstechnologien

Die elektrische Telegrafie 

Der Telegraf war ab dem späten 19. Jahrhundert bis in das 20. Jahrhundert hinein ein sehr bedeutendes telemedizinisches Instrument und wurde insbesondere während Kriegskonflikten verwendet (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 14). Er ermöglichte kurze Benachrichtigungen, die vor allem über Postämter versendet werden konnten und bediente sich dazu einer spezifischen verkürzten Sprache, meist dem Morse-Code. Im Folgenden ist kurz ihre Entwicklung sowie beispielhaft die Anwendung in Konfliktsituationen sowie in Australien, einem frühem Telemedizinstandort, skizziert.

Bewegung von Menschen und Elektrizität war eine wesentliche Entwicklung im 19. Jahrhundert.
Symbolbild: Kabel an einer Bahnstrecke (Rechte: Karlherl auf pixabay).
  • Bis in das 18. Jahrhundert dienten Boten, Glocken oder Signalfeuer als grundlegende Kommunikationsinstrumente, um Nachrichten über eine größere Entfernung hinweg zu überbringen (vgl. von Steiger und Vatter 2002: 3). Hierbei gab es sowohl akustische, als auch optische Signale wie den optischen Telegrafen.
  • Ab dem 19. Jahrhundert änderte sich dies, aufgrund der Möglichkeit, Elektrizität für die Übermittlung von Nachrichten zu verwenden. Nach verschiedenen Versuchen und Patentwettstreitigkeiten gelang es dem Amerikaner Samuel Morse einen Telegrafen zu entwickeln, der über einen Elektromagnet schreiben konnte: „Erzeugt wurden die Morsezeichen mit einem Taster, der den Stromkreis öffnete und schloss. Die Signale gelangten über einen Metalldraht zum Empfänger, der aus einem Elektromagneten bestand und einen Schreiber betätigte“ (vgl. ebd.: 8). Die Stromimpulse wurden in Form von Punkten oder Strichen auf einem Papier abgebildet, welche wiederum das Morsealphabet bildeten. 
  • Der Telegraf gilt als das erste elektrische Telekommunikationsinstrument mit dem es möglich war, in einem kurzen Zeitraum Nachrichten über große Entfernungen zu übermitteln (vgl. ebd.).
  • Im Jahr 1844 konnte der elektromagnetische Telegraf zum ersten Mal erfolgreich in Einsatz gebracht werden. Die Übertragung einer Nachricht fand zwischen Washington und Baltimore statt (vgl. Pichler 2006: 403). In den meisten Ländern Europas löste ab 1850 die elektrische Telegrafie ihre vorherigen Systeme, die Nadeltelegrafie und die Zeigertelegrafie, ab (vgl. ebd.).

Verwendung der Telegrafie in der Militärmedizin und der zivilen Medizin in Australien

  • Im Jahr 1874 findet sich eines der frühsten Anwendungsbeispiele eines Telegrafen für medizinische Zwecke (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 10). Die Durchführung dieser ersten Telekonsultation fand in der abgelegenen Gemeinde Barrow Creek in Australien, nahe einer  Telegrafenverstärkerstation statt (vgl. ebd.: 11). 
  • In den 1860er-Jahren, also den Zeiten des US-amerikanischen Bürgerskriegs von 1861–1865, arbeiteten die US-Amerikaner William S. Morris und Albert James Myer daran, ein nationales System einer Telegrafenkommunikation unter Kriegsbedingungen zu entwickeln. Sie wollten einen Informationsaustausch zwischen Truppen ermöglichen. Zudem schlug Myer vor, den Telegrafen für medizinische Zwecke zu verwenden. Es sollte dadurch möglich werden, Krankentransporte zu koordinieren oder Medikamente und weitere medizinische Produkte zu bestellen (vgl. ebd.: 9).
  • Der Vorschlag von Myer setzte sich in der ersten Hälfte  des 20. Jahrhunderts durch. In dieser Zeit wurde der Telegraf zu einem sehr wichtigen Kommunikationsmittel in Kriegskonflikten. Telegrafen wurden zu dieser Zeit eingesetzt um Ferngespräche zu ermöglichen aber auch um medizinische Hilfe zu bestellen (vgl. ebd.: 11).
  • Auch in Australien blieb die Nutzung des Telegrafen relevant, wie auch an anderer Stelle in diesem Blog ausführlicher diskutiert wird. Ein weiteres fernmedizinisches Verfahren wurde in Australien beispielsweise im Jahr 1917 durchgeführt. Ein Telegraf wurde eingesetzt, um eine Verletzung eines Mannes, der sich 300 km weit entfernt aufhielt, zu diagnostizieren. In der abgelegenen Gemeinde in Australien fehlten zwar adäquate medizinische Mittel, um bei dem Verletzen die lebensnotwendige Operation durchzuführen (vgl. ebd.: 12), durch telegrafische Anweisungen des Arztes aus dem etwa 2000 km entfernten Perth gelang es aber den Mann mit einfachen Mitteln zu operieren (vgl. ebd.: 13).

Der „sprechende Telegraf“: Das Telefon

Anhand des Telefons, einem zentralen Mittel der Telemedizin, können verschiedene Entwicklungen beobachtet werden. Akustische Formen der medizinischen Informationsübermittlung, um die es ausführlicher an anderer Stelle in diesem Blog geht, reichen vom Telefon bis zum Stethoskop, und beginnen im späten 19. Jahrhundert. Das Telefon ist damit heute das wohl älteste, noch genutzte telemedizinische Mittel, wenn es um die Übertragung von akustischer Kommunikation geht. 

Wurde die Kommunikation über das Telefon ursprünglich als Möglichkeit für simple Konsultationen und Planungen der Gesundheitsversorgung gehandelt, hat es sich doch zu einem vielfach einsetzbaren Telekommunikationsmittel entwickelt, durch das verschiedene gesundheitliche Informationen, beispielsweise aus der Telekardiologie, übermittelt werden können (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 52).

Alexander Graham Bell war ein wesentlicher Akteur der Telefongeschichte. Hier eröffnet er 1892 die Linie von Chicago nach New York (Rechte: Gilbert H. Grosvenor Collection auf Wikimedia).
  • Das „Telephon“ als Apparat geht unter anderem auf den deutschen Physiker und Erfinder Johann Philipp Reis zurück und dient zur Informationsübertragung auf Basis von akustischen Signalen. Weitere Telefonapparatmodelle wurden in den USA von Antonio Meucci und Alexander Graham Bell Ende des 19. Jahrhunderts nahezu zeitgleich entwickelt (vgl. Fritsch 2019: 7). 
  • Mit Bell wird auch der erste telemedizinische Notruf in Verbindung gebracht, bei dem er nach einer Brandverletzung mit Säure seinen Assistenten aus dem Nachbarraum herbeirief (vgl. Saffle 2011: 267).
  • Das erste private Telefongespräch für einen medizinischen Zweck fand vermutlich 1879 in den USA statt. Die Familie eines kranken Kindes kontaktierte nachts einen Arzt, da das Kind unter schwerem Husten litt. Der Arzt gab daraufhin die Anweisung den Hörer näher an das hustende Kind zu halten, um eine akustische Diagnose stellen zu können und die Untersuchung auf den nächsten Tag zu verschieben (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 43 f.).
  • Im Jahr 1887 hatten Patient_innen, die sich aufgrund ihrer ansteckenden Krankheiten in Isolation begeben mussten, erstmals die Möglichkeit dennoch mit ihren Verwandten über das Telefon in Kontakt zu stehen. Generell waren die 1880er-Jahre geprägt von einer Diskussion über die Möglichkeiten und den Nutzen von einer akustischen Informationsübertragung zwischen Arzt oder Ärztin und Patient_in. Besonders der britische Arzt Alfred H. Twining war ein starker Verfechter dieser neuartigen Form der Kommunikation, um gerade auch in entlegeneren Gegenden eine soziale und professionelle Konsultation gewährleisten zu können (vgl. ebd.: 45).
  • Schon vor einer größere Popularität des Telefons, das sich beispielsweise in Deutschland und anderen Teilen von Europa erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts breiter durchsetzte, wurden Telefonanschlüsse zum Bestandteil der  städtischen Praxen der Zeit. Das Frauenkrankenhaus in Birmingham beispielsweise war schon 1880 mit einem funktionierendem Telefonsystem ausgestattet, welches alle internen und externen Abteilungen sowie die Wohnsitze der behandelnden Ärzte oder Ärztinnen miteinander verband (vgl. ebd.: 45).
  • Waren die 1880er-Jahre noch geprägt von der Diskussion über die Relevanz einer telefonischen Anbindung der Ärzte, entwickelten sich Ende des 19. Jahrhunderts andere, eher ethische Problematiken. Es war Ärzt_innen nicht gestattet ihre Dienste öffentlich zu bewerben (vgl. ebd. 47 f.). Diese Sachlage hat sich im Vergleich zur heutigen Zeit leicht verändert. Heute ist nur noch lediglich sog. ‚berufswidrige‘ Werbung verboten, darunter versteht man „[…] eine anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung“ (Bahner 2001: 157), also beispielsweise solche, die Patient_innen falsche Hoffnungen machen könnte (vgl. ebd.: 158). 
  • Die Entwicklung des Stethoskops ist eng verbunden mit der des Telefons, da beiden Apparaten eine ähnliche Funktionsweise zugrunde liegt. Die Idee zudem ein Stethoskop mit einem Telefon zu verbinden, um ein Abhören aus der Ferne zu praktizieren, reicht zurück bis in die 1870er-Jahre (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 48). Umgesetzt wurde dies jedoch erst, nachdem sowohl in den USA als auch in Europa ähnliche Typen von Stethoskopen patentiert wurden. 
  • 1910 führte der britische Ingenieur Sydney-George Brown mithilfe seiner eigenen Erfindungen, dem elektrischen Relais und dem elektrischen Stethoskop, die weltweit erste Telekonsultation durch. Auf der Distanz von über 50 Meilen zwischen dem Londoner Krankenhaus und der Isle of Wight gelang es ihm Herztöne zu übertragen (vgl. ebd.: 48).
  • In den 1930er und 40er Jahren wurden Kabelverbindungen größtenteils dazu genutzt, um praktische Maßnahmen im Gesundheitswesen zu bewirken, Forschung durchzuführen und Wissen über Epidemiologie zu generieren (vgl. ebd.: 48).
  • In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Versuche durchgeführt angehenden Mediziner_innen telefonisch medizinische Inhalte zu vermitteln. Das medizinische Zentrum der Universität von Nebraska führte 1958 dieses Lernen auf Distanz durch (vgl. Keegan 2013: 13). Bereits in den 1980er-Jahren war ein exponentielles Wachstum im Bereich der passenden Literatur zum Lernen aus der Distanz erkennbar (vgl. ebd.: 14). 
  • In den 1960er-Jahren wurde die Kommunikation via Telefon und aller Technologien auf dieser Basis, wie Fax Maschinen beispielsweise, weltweit für alle Varianten gesundheitlichen Austausches verwendet (vgl. ebd.: 50). In Deutschland gab es jedoch vor allem für die Fernbehandlung gesetzliche Einschränkungen, die an anderer Stelle in diesem Blog ausführlicher diskutiert werden.
Mit dem Radio und Funk erhöhte sich die Reichweite der Kommunikation. Symbolbild: Radio (Rechte: Breakingpic auf Pexels.com).

Radiokommunikation und Funk

Im frühen 20. Jahrhundert revolutionierte das Radio die Kommunikation. Durch die Erfindung entstand das erste elektrische Massenmedium, das in Deutschland in den 1920er-Jahren große Verbreitung fand (vgl. Häusermann 1998: 1). Das Medium sollte möglichst schnell für die breite Bevölkerung wichtige Informationen weiterleiten aber auch unterhaltend sein. Seine zugrunde liegende Technologie war der Funk.

Dessen Ursprünge, telemedizinische Ausprägung sowie die besondere Rolle der Technologie in Australien, einem Vorreiter der Telemedizin, und auf See, einem besonderen Einsatzgebiet, sind im Folgenden zusammengefasst.

  • Bei der Erfindung des Rundfunks war die Entdeckung elektromagnetischer Wellen durch Heinrich Hertz von großer Bedeutung. Erst dadurch war es Guglielmo Marconi 1897 möglich, „telegraphische Nachrichten drahtlos über eine Distanz von fünf Kilometern zu übertragen“ (Dotzler und Roesler-Keilholz 2017: 118). Mit dem Audion von Lee De Forest, einer Drei-Elektroden-Röhre, die für den Empfänger als Gleichrichter und Verstärker diente und dem sogenannten Kathodenstrahlrelais von Robert von Lieben, konnte die technische Entwicklung vorangetrieben werden. Zu Beginn wurde der Rundfunk noch als drahtlose Telegrafie bezeichnet und war vor allem im militärischen Bereich von Bedeutung (vgl. ebd.: 118f.).
  • In den Anfängen der Radiokommunikation überlegten Ärzt_innen bereits, wie das Medium Radio für medizinische Zwecke in Verwendung gebracht werden kann. Man erhoffte sich eine medizinische Versorgung, beziehungsweise Beratung, die durch das Medium Radio gewährleistet werden kann. Im Mittelpunkt der Überlegung stand eine Unterstützung der Diagnose von Krankheiten unabhängig vom Aufenthaltsort eines Patienten oder einer Patientin. Bereits 1924 wurde die Idee des Radio Doktors skizziert. Dabei wurden Radio- und Fernsehtechnologie in Verbindung gebracht. Die Überlegung war, dass über ein Fernsehgerät eine Sprechstunde durchgeführt wird. Patient_in und der Arzt oder die Ärztin könnten sich dabei gegenseitig sehen (vgl. Gnann 2001: 13).
Die Idee des Radio Doctor
auf dem Magazin Radio News, 1924 (Cover).
  • In der Zeitschrift Electrical Experimenter veröffentlichte Hugo Gernsback 1925 einen Artikel, in dem er über ein Gerät fantasierte, dass er Teledactyl nannte. Seine Vision sollte Ärzt_innen ermöglichen, Patient_innen über einen Bildschirm zu sehen und sie zudem durch einen Roboterarm berühren (vgl. Westfahl 2007: 245).
  • Erste Versuche zur Videotelefonie wurden im Jahr 1927 durchgeführt. Der Durchbruch der Fernsehtechnik im medizinischen Bereich ist jedoch auf die 1950er-Jahre zurückzuführen (vgl. Gnann 2001: 13). Der multimediale Teledactyl blieb damit eine Utopie.
  • Zwischen den 1930ern und 40ern gewann der Rundfunk im medizinischen Bereich an Bedeutung. Neben diversen Radiosendungen zum Thema Medizin wurde der Rundfunk unter anderem dazu genutzt, um Ärzte auszubilden (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 32).
  • In den USA begannen einige akademische Lehrkrankenhäuser eigene drahtlose Netze aufzubauen, die überwiegend für die Ausbildung in Verwendung gebracht werden sollten. Ab dem Jahr 1955 wurden in Albany, in New York sogar Vorlesungen für Ärzte über Funk gehalten. Zwei Jahre später wurde dann ein professionelles Funkzentrum errichtet (vgl. ebd.).
  • In Ohio errichtete man im Jahr 1973 ein Mikrowellenfunknetz für den medizinischen Datenaustausch. Dabei wurden fünf Krankenhäuser miteinander vernetzt. Ähnliche Funknetze existieren teilweise bis heute, vor allem an Orten, die über das Internet nicht zu erreichen sind.

Sonderfälle der telemedizinischen Funkgeschichte: Australien (Air Medical Service) und Maritime Telemedizin

  • Die Gründung des Air Medical Service in Australien steht in Zusammenhang mit dem klassischen telemedizinischen Problem einer Versorgung von abgelegenen Orten. Aufgrund eines medizinischen Vorfalls in Australien kam John Flynn auf die Idee den ersten Medical Aviation Service zu erschaffen. Im Jahr 1928 wurde mit seiner Hilfe der Aerial Medical Service (AMS) organisiert. Flynn kombinierte Konsultationen durch Funk und Telegrafie mit Flugreisen von Ärzt_innen zu Patient_innen (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 15).
  • Um die Idee von John Flynn auf Seite der hilfesuchenden Orte ermöglichen zu können, war jedoch eine Stromversorgung notwendig. Durch die Erfindung des „pedal powered radio set“ (Gibson 1950: 176), welches Alfred Hermann Traeger im Jahr 1928 erfand, wurde dieses Problem gelöst. Mithilfe eines Dynamogenerators mit einem Pedalantrieb konnte der benötigte Strom erzeugt werden, so dass die Funkgeräte auch im Outback in Betrieb genommen werden konnten (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 16). 
  • Im Jahr 1942 wurde der Dienst in Flying Doctor Service umbenannt. Seit 1955 wird er Royal Flying Doctor Service (RFDS) genannt (vgl. Beule 2019: 131). Geblieben ist die Relevanz des Dienstes und sein ‚Erbe‘, denn in Australien ist das Gesundheitssystem von der Kombination aus Medizin, Luftfahrt und Radio grundlegend geprägt (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 17f.). Australien gilt deshalb heute noch als Vorreiter der Telemedizingeschichte.
Die Schiffstechnologie hat sich in den letzten 150 Jahren erheblich weiterentwickelt. Ortung, Kommunikation und auch telemedizinische Verfahren werden damit auf Hoher See möglich.
Symbolfoto: Schiffstechnologie (Rechte: Lucas Fonseca auf Pexels.com).
  • Die Funkkommunikation zudem in der maritimen Telemedizin von großer Bedeutung. Im Jahr 1911 wurde bereits eine improvisierte Radiotelekonsultation abgehalten. Der Kapitän eines Schiffes war erkrankt und ein Mitglied der Besatzung rief über Funk Hilfe. Die Nachricht ging bei einem Arzt, der sich 800 Meilen entfernt auf einem Schiff befand, ein. Dieser gab dem Erkrankten medizinischen Rat, wodurch er sich wieder erholen konnte (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 18).
  • Im Jahr 1920 wurden erste Radiotelekonsultationen für Seeleute in einem Krankenhaus in Norwegen durchgeführt. Neben Ferndiagnosen leiteten Chirurgen sogar Eingriffe über Radio (vgl. ebd.: 18).
  • Die Frage, wie man Seeleuten bei Erkrankungen helfen kann, blieb lange Zeit offen. Doch die Erfindung des Radios und die Idee des Kapitäns Robert Huntington konnten Abhilfe schaffen. Im Jahr 1920 gründete er in Kooperation mit dem Direktor der Merchant Navy School am Seaman’s Church Institute in New York den weltweit ersten Dienst für Seefunkberatung (vgl. ebd.: 19). Huntingtons Projekt wurde von mehreren Seiten finanziell unterstützt. Mit der Zeit verbesserte sich die Infrastruktur des radiomedizinischen Beratungsdienstes. Es wurden weitere Funkstationen und eine Telefonverbindung mit dem New York Naval Hospital in das Projekt mit einbezogen. Für die Seeleute stellte das Projekt eine kostenlose Dienstleistung dar (vgl. ebd.: 20). 
  • Neben dem Projekt von Huntington stellten aber auch weitere Organisationen kostenlose medizinische Beratung zur Verfügung. Im Jahr 1935 schloss sich eine Gruppe von Ärzt_innen zusammen, darunter Guido Guida, um Seeleute in Not mithilfe von Radiokonsultationen zu beraten (vgl. ebd.: 23). Sie eröffneten am 16. Februar 1935 in Italien das Internationale Medizinische Rundfunkzentrum (Centro Internazionale di Radiocomunicazione Mediche (CIRM)), eine medizinische Funkfernhilfe für Schiffsbesatzungen (vgl. ebd.: 22).
  • Eine ähnliche, deutsche Beratungsstelle ist unter dem Namen Telemedical Maritime Assistance Service (TMAS) in diversen Ländern vorhanden. In Deutschland ist der Dienst am Stadtkrankenhaus in Cuxhaven angesiedelt. Diese funk-telemedizinische Beratung besteht seit 1931 und wurde zu Beginn ehrenamtlich geführt. Der Service bietet eine notfallmedizinische Hotline, die 24-Stunden am Tag erreichbar ist. Ausgebildete Fachärzte beraten per Funk, bei Bedarf, alle deutschen Handelsschiffe weltweit (vgl. Paulus und Romanowski 2009: 4). Zum TMAS in Cuxhaven gibt es an anderer Stelle in diesem Blog noch weiterführende Informationen.
Ein früher Fernsehempfänger aus dem Jahr 1931 (Rechte: H. G. Cisin auf Wikimedia).

Der „Zwischenschritt“ telemedizinischer Arbeit: die Bildübertragung über Fernseher

Einer der heute zentralsten Kommunikationskanäle in der Telemedizin ist der Bildschirm, beispielweise um die Möglichkeiten der Videokonferenz auszuschöpfen oder im technische Bilder, beispielsweise in der Radiologie, zu übermitteln. Mithilfe von Bildschirmen können Informationen interaktiv und in Echtzeit ausgetauscht werden. Bevor Computer zum Instrument einer Videokommunikation wurden, erfolgte der Austausch vor allem über Fernsehen, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend relevant wurde für medizinische Informationsübertragung. 

  • Die Grundlage der Fernsehtechnik bildet bis heute die Idee des elektronischen Teleskops von Paul Nipkow, der 1886 ein Patent für einen ersten mechanischen Fernseher anmeldete. Bei seiner Technologie wird ein Bild in viele, einzelne Teile zerlegt, um es auf elektronischem Wege an einen anderen Ort zu senden (vgl. Mahler 2005: 478). Der Fernsehapparat erweiterte das Feld telemedizinischer Mittel um eine Bildebene und stand am Beginn eines neuen Trends zu Videokonferenzen und –konsultationen.
  • Eine der ersten, wenn nicht die erste, interaktive Übertragung fand im Mai 1924 statt, wie ein Artikel aus dem Archiv der New York Times nahelegt. Dabei wurden von einem amerikanischen Unternehmen für Telefon und Telegrafie 15 Fotos via Telefonkabel von Cleveland nach New York übertragen. 
  • Die weitere Entwicklung des Fernsehens in den 1920er- und 30er-Jahren war geprägt von mehreren Wissenschaftlern, die nach und nach versuchten, die beste Möglichkeit einer Informationsübermittlung durch Video und Audio zu formen. Besonders stechen die Wissenschaftler Semyon Katayev und Vladimir Zvorykin heraus (vgl. Howett 2006: 7). Katayev war Wissenschaftler in der UdSSR und meldet innerhalb eines ähnlichen Zeitraumes ein Patent für diese Art von Fernsehen an wie es Zvorykin für die USA ebenfalls tat. 
  • Vladmimir Zvorykin, der 1919 von einer Geschäftsreise nicht mehr in sein Heimatland Russland zurückkehren konnte, spielte zudem eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Videokonferenzen. Er gilt nicht nur als einer der Wegbereiter des elektronischen Fernsehens, sondern auch als einer der wichtigsten Verfechter der telemedizinischen Videokonferenz. Er arbeitete gemeinsam mit verschiedenen Ärzt_innen und medizinischen Institutionen daran die Fernsehtechnik in das Gesundheitswesen zu integrieren (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 145).
  • Für medizinische Zwecke wurde das Fernsehen in den USA vermutlich zum ersten Mal 1939 verwendet. Doch die wichtigste Anwendung, die zunächst mithilfe medizinischer Videokonferenzen gemacht wurde, fand an der Schule für Medizin an der Creighton Universität in Omaha City statt. Im Mai 1947 wurde dort die schwarz-weiß Technologie zum ersten Mal verwendet, um per Video medizinische Lehrinhalte zu vermitteln. In den darauffolgenden Jahren verbreitete sich diese Art der visuellen Informationsübertragung im medizinischen Bereich in weitere Teile der USA (vgl. ebd.: 146 f.). 
Eine Videotelefonzelle zur Demonstration aus dem Jahr 1922 im Bell Telephone Magazine (Rechte: Internet Archive auf Flickr).
  • Die erste farbige Übertragung einer Operation wurde am 31. Mai 1949 zwischen dem John Hopkins Krankenhaus in Baltimore und dem Hörsaal der American Medical Association in Washington gehalten. Anfang Dezember desselben Jahres fand eine ähnliche Übertragung in Atlantic City statt, bei der 15,000 Ärzte und Mitglieder der amerikanischen Medizinverband aus der Distanz an verschiedenen Operationen teilhaben konnten (vgl. ebd.: 150).
  • Am 6. Dezember 1951 fand die erste transkontinentale operative Videokonferenz zwischen Los Angeles und New York statt. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Technologie zunehmend auch in Europa verwendet, beginnend 1951 in Frankreich und 1952 in Spanien. In den 1960er-Jahren verbreitete sich die Idee von medizinischen Videokonferenzen  schließlich weitläufiger. Die auf Kabeltechnik beruhende Fernsehtechnologie wurde besonders in den USA für Operationen und Stomatologie, später erneut vor allem für Ausbildungszwecke genutzt (vgl. ebd.: 156 ff.). Aus dem OP können im Notfall oder zu Lehrzwecken Übertragungen stattfinden und die OPs waren teilweise medial erheblich darauf ausgerichtet.
  • In den 1970er-Jahren wurden Fernsehnetzwerke zwischen mehreren medizinischen Institutionen in verschiedenen amerikanischen Städten aufgebaut. In den Gebäuden selbst wurden Fernsehsysteme installiert, die sowohl empfangen als auch senden konnten. Diese dienten zur Übermittlung von Wissen, beispielsweise durch Videokonferenzen oder aufgenommene Videos (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 161). 
  • Ein wichtiges Pilotprojekt dieser Art fand in Cleveland, in den USA statt. Dabei wurden eine Universität und zwei Krankenhäuser miteinander verbunden (vgl. ebd.: 175). Im März 1975 fand die erste telemedizinische Konsultation in der Anästhesie statt, am 16. Oktober desselben Jahres wurden bereits breit angelegte telemedizinische Behandlungen in verschiedenen Abteilungen getestet. 
  • In den Jahren 1981–1982 wurden so in Cleveland beispielsweise 548 Telekonsultationen bezüglich 395 Patient_innen der Intensivstation durchgeführt (vgl. ebd.: 176). Die Fehlerrate der Ferndiagnosen konnte hierbei sukzessive gesenkt werden – dennoch fiel die Endbewertung sowohl bei den Ärzt_innen als auch bei den Patient_innen gemischt aus. 
  • Doch die Telekonsultation, oder breiter die Telemedizin (also auch Diagnose und Behandlung), wurde nicht nur in klassischen medizinisch relevanten Institutionen eingesetzt wie in Krankenhäusern, psychiatrischen Einrichtungen oder Universitäten, sondern beispielsweise auch in Gefängnissen (vgl. Lux, Farrenkopf und Matusiewicz 2015: 505). 
  • Von 1973 bis 1979 wurden die Gefängnisse in Florida mit telemedizinischer Technik ausgestattet. Im Dade County Gefängnis und imWomen’s Detention Centerarbeiteten beispielsweise ausgebildete Krankenschwestern und -pleger, die im Umgang mit telemedizinischer Technik geschult waren (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 177).
  • Abschließend bleibt deshalb zu sagen, dass die Grundlage für interaktive Videokonferenzen im 20. Jahrhundert die Technologie des Fernsehens bildet. Interaktive Videokonferenzen bilden bis heute ein wichtiges Element der Telemedizin und haben einen festen Platz im Gesundheitswesen (vgl. ebd.: 179).

Die Geschichte der Röntgendiagnose reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück – hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1904. Die Übertragung der Röntgenbilder wurde in der Folge über verschiedene Kommunikationskanäle möglich, vor allem aber das Fernsehen (Rechte: Unbekannt auf Wikimedia).

Sonderfall Teleradiologie

Zu den klinischen Anwendungsgebieten, die vor 1990 entwickelt wurden und die erheblich über Fernsehgeräte arbeiten, gehört die Teleradiologie. Diese ist heute nicht auf Fernseher beschränkt: „In der Medizin versteht man unter Teleradiologie zunächst jeden Prozess, bei dem radiologische Bilder mittels Telekommunikation an einen entfernten Ort übertragen werden (Bildübertragung)“ (Krüger-Brand 2007: 27). Allerdings bildet die Fernsehtechnologie einen wichtigen Baustein der Teleradiologie-Geschichte. Im Folgenden sind einige der wichtigen Entwicklungsschritte kursorisch gelistet.

  • Die Übertragung von Röntgensignalen datiert bereits in die Zeit telegrafischer Vermittlung zurück. 1947 wurde allerdings ein System entwickelt, bei dem Röntgenaufnahmen via Telefonkabel oder Radio und schließlich per Fax übermittelt werden konnten. Diese Form der Übertragung wurde von Gershon-Cohen und seinem Forschungsteam als ‚Telediagnose’ bezeichnet (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 268).
  • Bereits um 1951 galt die Diagnose von Röntgenaufnahmen aus der Distanz als wichtigstes Mittel der Telemedizin, um die Gesundheitsversorgung gerade in entlegeneren Gegenden zu verbessern (vgl. ebd.: 269). Bis heute bleibt die „telemedizinische Befundung von Röntgenbildern“ (Behar 2009: 25) eine wichtige Errungenschaft der Kommunikationstechnologie.
  • 1960 wurde mit der Hilfe von Professor Albert Jutras und der Teilnahme von Dr. Guy Dukett ein telemedizinisches System auf Kabelbasis erstellt, welches zwei zehn Kilometer entfernte Krankenhäuser in Montreal miteinander verknüpfen sollte. Ein erfolgreicher Austausch von fluoreszierendem Bildmaterial wurde bestätigt und sollte zu einer Verbesserung von diagnostischen Entscheidungen dienen. Allerdings fand dieses System kaum Verwendung außerhalb Montreals, und auch in der Stadt eher innerhalb einzelner Krankenhäuser (vgl. Vladzymyrskyy, Jordanova und Lievens 2016: 267). 
  • Teleradiologische Systeme auf der Basis von Fernsehübertragungen wurden zwar seit den 1970er-Jahren beispielsweise auch in Frankreich und Schweden benutzt, der Begriff ‚Teleradiologie‘ wurde jedoch erst 1972 von den Ärzten W. S. Andrus und T. K. Bird geprägt (vgl. ebd.: 270). T. K. Bird sprach in einer der frühsten akademischen Definitionen der Telemedizin davon, dass es sich dabei um eine medizinische Behandlungsmethode handelt, bei der interaktive Audio- oder Videokommunikation verwendet wird (vgl. ebd.: 270). Hierbei solle allerdings nicht die Relevanz des behandelnden Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin des Gesundheitswesens minimiert werden – was insbesondere in der Teleradiologie eine frühe Sorge darstellt. Sie ist vielmehr eine ausgebildete, bilderstellende Fachperson auf der einen Seite, und im Falle der Teleradiologie, auch auf einen qualifizierten Radiologen oder eine qualifizierte Radiologin auf der anderen Seite angewiesen (vgl. Dugas 2017: 140).

Die ‚zweite Generation’ der Telemedizin: Computer, Internet, World Wide Web

Ausgehend von der Geschichte komplexer Rechenmaschinen vom 17. bis ins 19. Jahrhundert wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundertsder Computer zu einem wesentlichen Instrument der Informationsübermittelung. Die Vernetzung elektronischer Rechner wurde in Deutschland kurzgefasst als ‚Telematik’ bezeichnet und wird im Englisch häufig unter ‚Telehealth’ diskutiert. Diese Netzwerke meinen heute die weltweite Infrastruktur der meisten telemedizinischen Übertragungen. Die Formen dieser Vernetzung entwickelten sich ab den 1970er-Jahren parallel in vielen Ländern und entlang der Geschichte des Computers, wobei das Internet heute die globale Plattform der Vernetzung darstellt. 

Ein Vorläufer des Internets waren die nationalen Netzwerke. Von den Anfängen der ARPANET wuchs die Anzahl der Knotenpunkte rasch – hier eine Karte des ARPANET/MILNET aus dem Jahr 1984 (Rechte: Defense Systems Agency auf WIkimedia).

Computer, Intranetze und das ARPANET

  • Lochkartenmaschinen, wie der IBM 601 aus dem Jahr 1935, stellten die frühen elektrischen Rechenmaschinen dar. Insbesondere der deutsche Ingenieur Konrad Zuse entwickelte bedeutsame Prototypen, die basierend auf der Von-Neumann-Architektur Rechenprozesse ausführen konnten. Insgesamt ist die Computergeschichte, wie alle Mediengeschichten, jedoch geprägt von vielen parallelen Entwicklungen und verschiedenen Akteur_innen, deren Bedeutung je nach historiografischer Perspektive unterschiedlich gewichtet wird (eine Übersicht findet sich u.a. bei Bruderer 2015: 213–291).
  • Die ersten Rechenmaschinen füllten zunächst ganze Räume und Hallen und wurden meist an den Universitäten aufgebaut und betrieben. In den 1940er-Jahren wurden die Rechner wie der Colossus (Großbritannien, 1941) (vgl. Bruderer 2015: 397) oder der Mark I (USA, 1943) vor allem auch für die Berechnung von kampfrelevanten Daten genutzt (vgl. O’Regan 2018: 32). Davor und danach wurden sie aber auch im zivilen Bereich (beispielsweise für Wahlen) eingesetzt.
  • Abseits von einigen frühen Anbietern in den frühen 1960er-Jahren, wurden lokale Computernetze in den Krankenhäusern der USA ab 1965 zu einem größeren Markt. Die Krankenhaus-IT-Systeme basierten auf „large general-purpose computers to support clinical, administrative, communications, and financial systems of the hospitals“ (Hannah, Ball und Edwards 1999: 30). Allerdings war die Anwendung im medizinischen Bereich zunächst problembehaftet, da „expensive, unreliable und unwieldy“ (ebd.) und ohnehin nicht vorrangig vorgesehen. Die „large main-frame computers“ (Woeltje 2007: 126) dienten eher der Finanzverwaltung.
  • In späten 1960er-Jahren wurde die Idee für ein nationales Netzwerk von Computern realisierte. Das sogenannte ARPANET (Advanced Research Projects Agency Net) in den USA war das erste experimentelle Netzwerk von Computern das darauf ausgerichtet war, militärische Arbeit zu unterstützen und sensible Informationen auch in Ausnahmesituationen zu schützen. Als Langstrecken-Kommunikationsnetz angedacht, funktioniert das ARPANET dezentral über Knotenpunkte an verschiedenen Universitäten (vgl. Cipolat und Geiges 2003: 7). Seine größte Herausforderung war dabei, wie auch bei vielen elektronischen Netzwerken in der Medizin später, die Interoperabilität der vernetzten Computerterminals.
  • Die Mini-Computer und das Personal Computing, das in den 1970er-Jahren aufgekommen war, fand in den 1980er-Jahren vor allem in Privathaushalten zunehmend Verbreitung. Dieses „movement of powerful computers from the back office to the individual desktop“ (Thompson 2007: 26 f.) veränderte auch die Arbeit in Krankenhäusern. Insbesondere die Entwicklung von spezialisierten „personal computer based systems“ (Hannah, Ball und Edwards 1999: 32) in den 1980er-Jahren ergänzten die Möglichkeiten, die sich im modernen Gesundheitssystem auftaten. Hierbei ging es zunächst allerdings stärker um ein telematisches Datenmanagement, nicht zentral um telemedizinische Kommunikation. 
  • In den 1980er-Jahren wurden fünf regionale ‚Supercomputer‘-Zentren innerhalb der USA verbunden, um ein starkes Grundgerüst für ein neues Netz, das Internet, zu bilden. Um dieses Unterfangen kosteneffizient zu gestalten, beteiligte sich jede Universität, Forschungsabteilung und Fakultät daran, das Netz so zugänglich wie möglich zu gestalten (vgl. Cipolat und Geiges 2003: 7 f.). Zu diesem Netz kamen sukzessive all jene Netzwerke, die sich in vielen anderen Ländern zur selben Zeit bildeten.
Tim Berners-Less Arbeitsplatz mit dem ersten Web Server des World Wide Web am CERN (Rechte: Robert Scoble auf Wikimedia).

Das Internet und das World Wide Web

  • Das Internet der Anfangszeit war schwerfällig und hatte für Laiennutzer erhebliche Zugangshürden. Der Softwareingenieur Tim Berners-Lee entwickelte am CERN ein System, das in der Lage war Dokumente miteinander zu verlinken, die innerhalb verschiedener Computersysteme gespeichert waren. Der Zugang zu einer wachsenden Ansammlung von Wissen, die beispielsweise an den Universitäten lag, sollte so zugänglich und tauschbar gemacht werden. 1991 wurde Berners-Lees Konzept des World Wide Web vorgestellt, in dem jedem Dokument und jeder Seite im Netzwerk eine einzigartige Adresse, eine Domain mit URL, zugeteilt wurde. Die Telekommunikation des Internets basiert heute auf komplexen, standardisierten Vorgängen und wird durch verschiedene Kommunikationsprotokolle organisiert (vgl. ebd.: 8). 
  • 1992 kam Mosaic auf den Markt, der erste grafische und nutzerfreundliche Web- Browser, mit dem man sogenannten Hyperlinks durch ein einfaches Klicken folgen konnte. Die Hyperlinks verbanden die Webseiten und machten es möglich die vielfältigen Inhalte leichter zu finden (vgl. ebd.: 8). 
  • Die Browser in Verbindung mit grafischen Betriebssystemen und der Organisationsstruktur des neuen Internets stellten  damit einen vereinfachten, verbildlichten Zugang zu den Rechnern und ihren Netzwerken dar. Die dadurch bedingte Ausdehnung der Informationen, zu der zunehmend auch eine auf informationstechnologische Vernetzung in „widely separate locations“ und „across health enterprises“ gehörte (beide Zitate Hannah, Ball und Edwards 1999: 32), verband nun kleine Systeme in Krankenhäusern auf dem nationalen Level und schließlich mit einem zunehmend internationalen Gesundheitswesen. 
  • Die sinkenden Kosten für leistungsstarke Personal Computer (jenseits der High-End-Modelle) und die zunehmend fähigen kleineren Geräte wie Pads gepaart mit der der Verbesserung der technischen Kabelinfrastruktur des – in der Theorie – kostenlosen Netzes sowie die zusätzliche Möglichkeit über Satelliten zu kommunizieren machen es heutzutage möglich, spezifische medizinische Informationen auf höchster Geschwindigkeit zu transportieren (vgl. Cipolat und Geiges 2003: 7).
  • Während das Internet eine erhebliche Freiheit für einzelne Nutzer_innen bedeutet, gestaltet sich das Angebot bezüglich verlässlicher medizinischer Inhalte inzwischen allerdings schwierig, denn verifizierte Seiten sind oftmals zahlungspflichtig, während kostenfreie Seiten häufig nicht geprüft sind (vgl. Cipolat und Geiges 2003: 8). 
  • Mediziner_innen haben dagegen ihre Informationsstrukturen auch ins Netz verlegt. Als internes Wissensnetzwerk für Mediziner_innen fungiert beispielsweise Medline, eine Datenbank, die von vielen Spezialist_Innen des Gesundheitswesens genutzt wird und die seit den 1960er-Jahren auf den Computer adaptiert wurde. Medline ermöglicht es u.a. bestimmte Quellen zu verifizieren (vgl. ebd.: 9).
  • Das stetig wachsende Internet mit seinen schnellen Zugangsmöglichkeiten ermöglicht zudem eine umfassendere Verwendung von Methoden der Video- und Sprachkommunikation, die nun die Bildübertragung auf ein digitales Level hebt. Dies hat Einfluss auf die medizinische Lehre, Forschung aber auch der Umgang mit Patient_innen. Bis heute hat das Internet definitiv das Paradigma der wissenschaftlichen Kommunikation verändert und wird vermutlich auch weiterhin den Zugang zu Informationen ebenso beeinflussen wie die medizinische Praxis selbst.
Die Zukunft der Medizin präsentiert sich derzeit als klein und mobil (Rechte: Juhan Sonin auf Flickr.)

Fazit

Betrachtet man die Medien in ihrem Aufkommen, der Ausgestaltung und ihrem Zusammenspiel, zeichnet sich die Entwicklung der Telekommunikation während der letzten 150 Jahre vor allem durch eine Einführung und Ausdifferenzierung immer neuer Produkte, Dienste und Anwendungen aus (vgl. Stoetzer und Mahler 1995: 1). Die Telekommunikationsmöglichkeiten wurden dabei in unterschiedlich starkem Umfang auch für die Übertragung medizinischen Wissens eingesetzt. 

Die Geschichte der Telemedizin und Telematik ist geprägt von diesen Medienwandeln und einer Vielzahl verschiedener Systeme, die in vielen Projekten Anwendung gefunden haben. Es zeigt sich, dass in vielen Ländern die Weiterentwicklung telemedizinischer Geräte vor allem in Reaktion auf regionale und nationale Probleme stattfand. Sie fügt sich teilweise nahtlos mit den Interessen von Entwickler_innen und Firmen, die die Telekommunikation mitgeprägt haben.

An Beispielen wie der Radiologie wird deutlich, dass sich zudem für viele medizinische Fachbereiche eine distinkte Mediengeschichte erzählen lässt. Allerdings – und auch dies wird deutlich – die ‚Einzelmediengeschichten‘, wie sie als organistorische Grundlage für die Zusammenschau der Meilensteine genutzt wurden, lösen sich früh auf. Die Medien der Telemedizin sind in ihrer Visionierung früh bereits multimedial und interaktiv.

Wenn man die Geschichten einzelner Projekte verfolgt, von denen einige umrissen wurden, wird zudem deutlich, dass die langfristige Implementierung der Telemedizin überall immer wieder zu Probleme führt (vgl. ebd.: 7). Für die Zukunft wäre es sicherlich sinnvoll häufiger einen Blick zurück zu werfen, bevor man die Zukunft der Telemedizin plant. Denn ihre Verbreitung in der Welt – und natürlich in Deutschland – ist bei Weitem noch nicht abgeschlossen und Potenzial zu Verbesserungen kann genutzt werden.

Literatur

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